Der Wohnraum in der Schweiz wird knapper. Ein vor kurzem vorgestellter Aktionsplan des Bundes umfasst eine Liste von Empfehlungen für Kantone, Gemeinden und sonstige Akteure, um der Wohnungsknappheit entgegenzuwirken. Eine dieser Massnahmen beinhaltet die Prüfung, ob im Raumplanungsgesetz ein «massvolles Kostenrisiko» bei Einsprachen verankert werden soll. Macht dies Sinn oder wird damit am falschen Ort angesetzt? Anica Raichle, Head Development beim Immobilienentwickler Rimaplan AG, ordnet ein.
Anica Raichle, was sind die Hauptgründe für die Wohnungsknappheit vor allem in den Ballungszentren – liegt es an den vielen Einsprachen?
Einsprachen sind nur einer von diversen Faktoren, die zu Verzögerungen in der Problemlösung bei der Wohnungsknappheit beitragen. Einerseits bewirkt der immer grösser werdende Unterschied zwischen neuen Mieten und Bestandesmieten, dass viele länger als nötig in zu grossen Wohnungen bleiben, um von den tieferen Mietzinsen zu profitieren. Des Weiteren führen höhere Baukosten dazu, dass das Bauen insgesamt unattraktiver wird, zumal sich mit der Zinswende der Anlagenotstand ohnehin abgebaut hat. Zudem verlängern sich die Fristen zum Erhalt einer Baubewilligung stetig. Die ZKB hat analysiert, dass es vom Baugesuch bis zur Baubewilligung in der Schweiz heutzutage 140 Tage dauert – das sind 67 Prozent mehr als noch 2010. Nochmals länger dauert es, wenn Einsprachen geltend gemacht werden.
Haben sich die Anzahl Einsprachen in letzter Zeit erhöht?
Ja, das haben sie. Evelyne Schlauri bezeichnet sie sogar als die fünfte Landessprache der Schweiz. Ich zitiere sie hier aus ihrem aktuellen Artikel auf SRF (7.2.2024): «Im Kanton Basel-Stadt etwa gab es 2023 750 Einsprachen gegen Bauten, gut 50 Prozent mehr als noch 2020. In der Stadt Zürich gibt es keine Einsprachemöglichkeit, sondern direkt den Rekursweg. Und dieser wird immer häufiger genutzt: 2022 waren es knapp 37 Prozent mehr Rekurse als noch 2010, bei den Neubauten waren es 2022 fast doppelt so viele als noch 2010.»
Und gemäss einer Studie der ZKB wurden von 2010 bis 2020 ganze zehn Prozent aller bewilligten Bauprojekte unter anderem wegen Rekursen nicht realisiert. 4000 Wohnungen gingen so jährlich verloren, sagen sie, Tendenz steigend.
Auch bei den durch uns getätigten Baugesuchen ist eine rechtskräftige Baubewilligung kaum noch ohne Behandlung einer Einsprache bzw. eines Rekurses möglich. Bis anhin konnten wir dies stets lösen.
Weshalb hat die Angst vor Einsprachen einen solch grossen Einfluss auf die Bautätigkeit?
Einsprachen führen zu zusätzlichen Überprüfungen und rechtlichen Auseinandersetzungen, was den Genehmigungsprozess des Bauprojekts ausschlaggebend behindern, erheblich verzögern und einen Stopp bewirken kann. Darüber hinaus sind auch negative Auswirkungen auf die Baukosten (Ressourcen und Zeit) möglich, bis hin zur Verunsicherung des Investors oder der Bauherrschaft, was im schlimmsten Fall sogar einen Projektabbruch verursacht.
Wie wirken Sie Einsprachen entgegen?
Einsprachen sind ein Recht, das immer häufiger auch missbräuchlich genutzt wird. Dadurch wird die Erstellung von zusätzlichem Wohnraum blockiert oder sogar verhindert. Einsprachen sind also stets ein Risikofaktor. In unseren Projektierungen thematisieren wir daher potenzielle Einsprachen bereits zu Projektbeginn. Wir bauen auf transparenter und klarer Kommunikation auf, und zwar ebenso mit der Bauherrschaft wie auch mit den Parteien, die potenziell Einsprache einlegen könnten. So sind wir in der Lage, das Risiko für Einsprachen zu minimieren und unsere Bauprojekte vergleichsweise schnell und ohne Verzögerung umzusetzen.
Gegen Bauprojekte eine Einsprache einzureichen, könnte eventuell bald etwas kosten. Der Bundesrat hat vom Ständerat den Auftrag erhalten zu prüfen, ob im Raumplanungsgesetz ein «massvolles Kostenrisiko» bei Einsprachen verankert werden soll. Ist das sinnvoll?
Grundsätzlich ist es das Recht legitimierter Personen, eine Baueinsprache zu erheben. Die zunehmend missbräuchliche Nutzung dieses Rechts sollte aus unserer Sicht unterbunden werden. Dies kann zum Beispiel in Form eines «massvolles Kostenrisikos» erfolgen. Auf diese Weise würde genauer überlegt werden, ob eine Einsprache berechtigt ist. Das würde die Bewilligungsprozesse wieder beschleunigen und der ursprüngliche Gedanke des Rechts würde wieder hergestellt.
Die Möglichkeit eines rascheren Bau- und Planungsprozess sendet ein positives Signal an Grundstückseigentümer und Investoren – ein wichtiger und sinnvoller Schritt gerade im Hinblick auf die Wohnungsknappheit.
Es gibt aber ein verfassungsmässiges Recht auf Einsprache. Wie hoch sollte die Gebühr angesetzt werden, damit sie wirkt, aber nicht gültiges Recht tangiert?
Die vorgesehene Gebühr sollte nicht dem Grundgedanken des Rechts widersprechen. Man könnte die Gebühr zum Beispiel abhängig vom Einkommen berechnen – ein tragbarer, aber auch abschreckender Mindestbetrag für missbräuchliche Einsprachen wäre ebenso zu definieren. Ein weiterer möglicher Ansatz wäre, dass bei einer legitimen Einsprache die Gebühr anschliessend erlassen wird.
Wann ist eine Einsprache denn als missbräuchlich anzusehen und wer entscheidet dies?
Rechtsmissbräuchlich ist eine Einsprache, wenn sie zweckwidrig eingesetzt wird. Also wenn mit der Einsprache Absichten verfolgt werden, für welche die Einsprache nicht bestimmt ist. Zum Beispiel, wenn sie nur zur Verzögerung des Prozesses dient oder wenn übermässige Entschädigungsaufforderungen für den Rückzug einer Einsprache gefordert werden, oder wenn Einsprachen, die von vornherein aussichtslos sind, nur Aufwand generieren bzw. das Verfahren erschweren oder sogar stoppen sollen. Der Entscheid darüber liegt jeweils bei der zuständigen Baubehörde.
Wurde Ihnen bereits angeboten, dass die Einsprache zurückgezogen wird, wenn die Partei entsprechend entschädigt wird?
Ja, das kommt leider vor. Aus unserer Sicht widersprechen solche Geschäfte dem Grundgedanken von Einsprachen. Wir sehen das als Korruption und als ein Ausnutzen des Rechtssystems. Wir haben solche Forderungen jeweils zurückgewiesen und unterstützen dies nicht.
Ein weiterer Punkt auf dem Aktionsplan zielt darauf ab, einfacher und günstiger bauen zu können. Sehen Sie hier einen möglichen Nutzen?
Durchaus. Wobei es hier zu erwähnen gilt, dass bereits heute die Behörden einen Ermessensspielraum besitzen, um etwa bei Sanierungen die Anforderungen bezüglich Lärm-, Schall- und Brandschutz usw. auf ein verhältnismässiges Niveau begrenzen zu können. Dieser soll unserer Meinung nach auch vermehrt genutzt werden von den Behörden. Dies würde die Anreize für Modernisierungen im Bestand erhöhen und könnte zu weniger Ersatzneubauten führen, welche aktuell in den Zentren teils stark in der Kritik stehen. In diesem Sinne schadet die beschriebene Massnahme, eine Strategie hierfür zu entwickeln, sicher nicht, wird aber leider auch keinen kurzfristigen Effekt haben.
Anica Raichle, Head Development, Rimaplan AG
Bauen mit Avobis
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