«Das wirksamste Mittel für einen effektiven Klimaschutz ist die konsequente Umsetzung der Kostenwahrheit»

Die Schweiz mache zu wenig für den Klimaschutz: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat der Klage des Vereins Klimaseniorinnen recht gegeben. Was bedeutet das für die Immobilienwirtschaft und die Städteplanung? David Belart, Head Development & ESG bei Avobis, ordnet ein.

David Belart, welche Auswirkungen wird der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die Immobilienwirtschaft und die Städteplanung haben?

Es ist noch schwierig abzuschätzen, wie stark die konkreten Auswirkungen auf diese Bereiche tatsächlich sein werden. Die eingeklagten Rechte, nämlich konkret die Gesundheit der Seniorinnen zu schützen, hängen schliesslich von der globalen Klimaveränderung ab, auf welche die Schweiz angesichts ihrer Grösse wenig Einfluss hat. Es liegt jedoch auf der Hand, dass auch kleine, insbesondere wohlhabende Länder wie die Schweiz ihre Hausaufgaben beim Klimaschutz besser lösen sollten. Dabei sind allerdings auch die demokratischen Prozesse zu beachten: Die Ablehnung des CO2-Gesetzes 2021 und die spätere Annahme des eher zahnlosen Klima- und Innovationsgesetzes 2023 zeigen den langen und umständlichen Weg dieser Meinungsbildungsprozesse. Das genannte Urteil ist derart abstrakt, dass kaum eine direkte Regulierungsfolge für die Bauwirtschaft davon abgeleitet werden kann, zumal auch die Art und Überwachung der Zielerreichung offengelassen wird. Ausserdem ist die Regulierung in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit und Energieeffizienz im Bau- und Immobilienbereich bereits auf einem sehr hohen Niveau angelangt und die Bauwirtschaft bringt laufend Innovationen hervor, die klimafreundliches Bauen auch rentabel machen. Mehr Regulierung bringt da wenig bis nichts. Ich erwarte viel eher konkrete «operative» Massnahmen zum Beispiel bei der Betreuung und Versorgung der älteren Bevölkerung während Hitzeperioden. Natürlich kann dies auch mit der Bebauungsart antizipiert werden, was aber selbstredend bereits stattfindet.

Massnahmen gegen Hitze, vor allem in den Städten, sind dabei ein wichtiges Thema. Das bedeutet unter anderem, anders zu bauen und mehr Grünflächen einzuplanen. Widerspricht dies nicht dem Gebot zur Verdichtung?

Nicht zwingend. Natürlich ist es anspruchsvoller, im dicht bebauten Kontext ein erträgliches Stadtklima zu bewahren, insbesondere bei innerstädtischen Quartieren mit einem hohen Versiegelungsgrad. Doch die Werkzeuge dafür sind bekannt: kompakte Bauweise, passiver Sonnenschutz, begrünte Dächer, Retention des Regenwassers («Schwammstadt») und genügend Bäume im Aussenraum, wenn nicht auf der eigenen Parzelle, so doch wenigstens im öffentlichen Raum. In weiten Teilen des Schweizer Siedlungsgebiets geht es aber um moderate Verdichtungen, also beispielsweise 3- bis 4-geschossige Bauten mit grosszügigen Aussenräumen. Beispielsweise kann eine dichte und kompakt erstellte Reihenhaussiedlung klimatisch deutlich angenehmer sein und den Bewohnern trotzdem genügend Privatsphäre und Grünraum bieten als ein Einfamilienhausquartier mit versiegelten Aussenflächen, Steingärten, spärlicher Bepflanzung und tendenziell weniger kompakten Bauten.

Nein. Das wirksamste Mittel für einen effektiven Klimaschutz ist die konsequente Umsetzung der Kostenwahrheit. Der Schaden, den die nach wie vor emittierten Treibhausgase verursachen, ist offensichtlich und muss ein Preisschild erhalten, welches im Bereich von CHF 180-200 pro Tonne CO2 liegt. Man kann dies als «Lenkungsabgabe» oder «Steuer» bezeichnen, doch das wäre schlechte politische Kommunikation. Der Bürger muss unter dem Strich profitieren; nicht nur davon, dass der Planet künftig für seine Enkel hoffentlich bewohnbar bleibt, sondern auch gegenwärtig im eigenen Portemonnaie. Das Fressen kommt vor der Moral. Deshalb kann die Umsetzung der Kostenwahrheit nur im Kontext einer umfassenden Steuer- und Subventionsreform erfolgreich sein. Der Staatshaushalt muss radikal von Subventionen – die häufig sogar noch klimaschädlich sind – entlastet werden. Zusammen mit den Zusatzerträgen aus der CO2-Abgabe wird so eine erhebliche Reduktion der Mehrwert- und Einkommenssteuern ermöglicht. Alle Einkommensschichten können so profitieren, insbesondere auch die niedrigen Einkommen: Senkung der MWST-Belastung beim Konsum und Umverteilung aus den CO2-Erträgen. Ich erwarte von den liberalen Parteien, dass sie sich endlich von den Lobby-Fesseln befreien und Lösungen entwickeln, die ökonomisch und wissenschaftlich fundiert sind, der Gesamtbevölkerung etwas bringen und nicht den übervertretenen Partialinteressen. Damit können Mehrheiten gewonnen und linke sowie rechte Populisten und Lobbyisten entlarvt werden.

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