«Vollkostenrechnung» beim CO2-Absenkpfad

23 09 Bauen Mit Recycling Beton

Immer mehr Immobilieneigentümer definieren Netto-Null-Ziele für ihre Immobilien. Wer die erreichen will, muss die Baustoffe und deren graue Emissionen ins Zentrum seiner baulichen Aktivitäten stellen.

Artikel von Mauro Formoso, Real Estate Consultant im Bereich Consulting & Development

Die Schweiz hat sich, wie fast alle Länder, im Rahmen des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet, ihre Emissionen bis 2050 auf netto null zu senken mit dem Ziel, die Erderwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Ab dann darf nur noch ausgestossen werden, was andernorts wieder aus der Atmosphäre entfernt wird. Immer mehr – vorwiegend institutionelle – Immobilieneigentümer definieren ebenfalls Netto-Null-Ziele. Diese Ziele betreffen in der Regel die direkten und indirekten Emissionen des Immobilienbetriebs, nicht aber die grauen Emissionen der Baustoffe für Erstellung und Instandsetzung.

Reduktion der Betriebsemissionen, Zunahme der grauen Emissionen

Diverse Branchenorganisationen wie die AMAS, KGAST und ASIP sind vorangegangen und geben für ihre Mitglieder mittlerweile umweltrelevante Kennzahlen vor. Die Vorgaben sind aktuell noch mild, es sollen die direkten Emissionen, teilweise auch die indirekten Emissionen ausgewiesen werden. Die nachstehende Abbildung zeigt denn auch, dass in der Vergangenheit deutliche Fortschritte bei den Betriebsemissionen erzielt wurden, insbesondere bei Bürogebäuden. Untersucht wurden hauptsächlich Gebäude in Europa (74%) und Asien (15%), aber auch in anderen Weltregionen.

Die in Gebäuden gebundenen Treibhausgasemissionen

Quelle: Röck et al. 2019. Embodied GHG emissions of buildings – The hidden challenge for effective climate change mitigation.

Die Abbildung zeigt aber auch, dass bei den grauen Emissionen bisher keinerlei Fortschritte erzielt wurden. Vermutlich haben sie aufgrund verbesserter Wärmedämmungen, dichterer Fenster und massiverer Bauweise sogar zugenommen. Bei Neubauten machen die grauen Emissionen mittlerweile rund die Hälfte aller Treibhausgasemissionen im Gebäudepark aus.

Blosse Renovierung hilft den Klimazielen nicht

Ein Forscherteam rund um Yasmine D. Priore hat sich mit langfristigen Strategien für den Gebäudebestand in der Schweiz auseinandergesetzt und untersuchte die Auswirkungen auf die Emissionen und die Erreichung der Klimaziele. Wenn die Entwicklung weitergeht wie bisher bei einer Renovierungsrate von einem Prozent, kann demnach der Zielwert von 1.5°C nicht erreicht werden. Interessant ist, wie die nachstehende Grafik zeigt, dass auch eine alleinige, schrittweise Erhöhung der Renovierungsrate auf 10 Prozent – um das Jahr 2040 wären dann alle Gebäude renoviert – keine Verbesserung hinsichtlich der Zielerreichung bewirken würde. Zwar würden die kumulativen betrieblichen Emissionen durch diese Massnahme stark reduziert, die grauen Emissionen stiegen jedoch aufgrund der starken Renovierungsaktivitäten dermassen an, dass die kumulativen Gesamtemissionen im Jahr 2050 gleich hoch wären wie im ersten Szenario. Dieses Ergebnis zeigt deutlich, dass eine blosse Renovierung ohne Berücksichtigung des Kohlenstoffgehalts der Materialien nicht zur Erreichung unserer Klimaschutzziele beiträgt.

Langfristige Strategien für den Gebäudebestand in der Schweiz

Quelle: Priore et al. 2020. Exploring long-term building stock strategies in Switzerland in line with IPCC carbon budgets.

Baustoffe mit negativen Emissionen sind der Schlüssel

Die Ergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit, die Art und Weise zu ändern, wie wir Gebäude bauen und sanieren. Bei einer Fortsetzung des «Business-as-usual»-Szenarios würde ein 2°C-Budget überschritten werden. Der Fokus muss auf Baustoffe mit negativen Emissionen gelegt werden.

Es gibt Beispiele von Baumaterialien, die den Kohlenstoff-Fussabdruck verringern und sogar negative Emissionen erzielen:

  • Hanfbeton: Ein Material aus einer Mischung von Hanf und Kalk, das mehr Kohlenstoff bindet, als bei seiner Herstellung freigesetzt wird
  • Alternativer Beton: Betonmischungen, die weniger Zement verwenden und stattdessen auf alternative Bindemittel wie Flugasche oder Schlacke setzen
  • Strohballen als Dämmung
  • Lehmziegel / Stampflehm
  • Holz und Holzprodukte: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, der Kohlenstoff speichert, anstatt ihn freizusetzen

Bisher werden solche Baustoffe, mit Ausnahme der Holzprodukte, allerdings sehr selten eingesetzt. Das kann diverse Gründe haben. Einerseits gibt es in der Bauindustrie eine lange Tradition der Verwendung von konventionellen Materialien wie Beton und Ziegelsteinen. Das Wissen über den Einsatz von Hanfbeton, Stampflehm und Stroh ist noch begrenzt, und viele Fachleute bevorzugen vertraute Materialien. Andererseits können Beschaffung und Verfügbarkeit zu Beginn ein Hindernis darstellen. Obwohl es keine spezifischen Verbote gibt, können auch normative Anforderungen und Bauvorschriften den Einsatz alternativer Baustoffe einschränken. Diese Vorschriften sind oft auf etablierte Materialien ausgerichtet und berücksichtigen nicht immer nachhaltige Optionen. Natürlich spielt auch die Wirtschaftlichkeit eine wichtige Rolle: so fehlen oft die preislichen Anreize und/oder die notwendigen Marktdurchdringungen (Skalierung, Logistik).

Beispiele für innovative Bauten in der Schweiz gibt es indes:

Es ist gut und richtig, dass Immobilieneigentümer CO2-Absenkpfade erstellen. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass auch die grauen Emissionen der Baustoffe berücksichtigt werden müssen, und dass es alternative Baustoffe gibt. Man muss letztendlich den Mut haben, diese auch auszuprobieren.

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